„Dem Steigerungszwang entkommen“

Von Redaktion · · 2017/03

Mit seinen Forschungen zu Zeit, Beschleunigung und Weltbeziehung trifft der Soziologe Hartmut Rosa den Nerv der Zeit. Wie ein gelingendes Leben möglich ist, erklärte er Irmgard Kirchner.

Ihr neuestes Buch „Resonanz“ wird in den höchsten Tönen gelobt. Die Medien reißen sich um Sie. Mit Ihren Vorträgen füllen sie riesige Säle. Denken Sie, dass Ihrem Publikum klar ist, dass Sie für einen radikalen Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft eintreten?

Das ist dem Publikum nicht immer klar, auch vielen Kollegen nicht. Ich höre gelegentlich den Vorwurf, dass mein Buch „Resonanz“ letzten Endes sagt: Sucht Resonanz in den bestehenden Verhältnissen! Wenn man das Buch genau liest, sieht man schon die Idee, einen Paradigmenwechsel ganz tief anzusetzen, die ganze Art des In-der-Welt-Seins zu revolutionieren. Doch es ist sicher auch hilfreich, wenn man den Leuten nicht gleich mit dem Hammer begegnet, sondern dort anfängt, wo wir stehen: bei unseren alltäglichen Erfahrungen.

Was stimmt denn nicht in unserem Weltverhältnis? Sie sagen, wir müssten den Stecker ziehen.

Ich nenne das Steigerungsspiel. Als würden wir ein gigantisches Monopoly spielen, bei dem Angst und Begehren künstlich erzeugt werden. Während ich Monopoly spiele, ist es meine größte Angst, dass ich viel zahlen muss. Oder meine größte Hoffnung, dass jemand anderer auf meine Schlossallee kommt und dass ich in diesem Fall viel verdiene.

Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, in einem institutionellen Geflecht, das auf diese Weise Angst und Begehren in einem Steigerungsspiel gefangen hält. Wir müssen jedes Jahr wachsen, wir müssen beschleunigen, wir müssen innovieren, damit wir uns als gesellschaftliche Struktur erhalten können. Das übersetzt sich in die Lebenswirklichkeit eines jeden Einzelnen. Der muss danach streben, seine Position zu verbessern, soziales, kulturelles, körperliches und ökonomisches Kapital zu gewinnen, um in diesem Spiel nicht zurückzufallen. Das sorgt für ökologische Probleme. Das sorgt für demokratische Probleme. Wir nähern uns dem individuellen und dem kollektiven Burnout. Damit verfehlen wir ein gutes Leben anstatt es zu gewinnen.

Welche Vision haben Sie von gelingenden Weltbeziehungen?

Diese Gesellschaft ist auf ein Erwerbsarbeitssystem gebaut, das in sich wettbewerbsförmig organisiert ist, so dass die Angst – vielleicht nicht vor dem physischen Verhungern in den westlichen Gesellschaften –, aber vor so etwas wie einem sozialen Tod ganz stark ist. Und diese Angst vor dem Tod treibt uns in ein ziemlich erbarmungsloses Wettbewerbs- und Steigerungsspiel, das uns dazu bringt, ein verdinglichendes Weltverhältnis einzunehmen: Alles was uns begegnet, wird zu einer Ressource in diesem Steigerungsspiel. Und das ist das Gegenteil von einem guten Leben.

Sie kritisieren auch die allgemeine Beschleunigung.

Beschleunigung ist nicht grundsätzlich schlecht, etwa beim Notarzt oder bei der Feuerwehr. Sie ist dort schlecht, wo sie zu Entfremdung führt. Und Entfremdung ist eine Art des In-der-Welt Seins, bei der man das Gefühl hat: Ich habe viele Gegenstände, ich habe viel Geld, viele Facebook-Freunde, aber irgendetwas stimmt dabei nicht. Ich fühle mich eigentlich unverbunden mit der Welt.

Meine Vision für ein gelingendes Weltverhältnis ist zu wissen, dass unsere physische Existenz, unsere ökonomische Existenz gesichert ist und wir einen Platz, einen sozial akzeptablen Platz, in dieser Welt haben. Wir verfügen längst über die Produktivkraft und auch die Produktionsmittel, um genau das weltweit den Menschen zu ermöglichen.

Was muss sich verändern?

Meine Kernidee ist eine Umstellung der Grundformen, wie wir uns auf Welt beziehen: von Beherrschen und Verfügen, was unsere jetzige Disposition ist, auf Hören und Antworten. Das bedeutet: Ich höre ein Anderes, ich höre es wirklich. Ich will es mir nicht sofort aneignen. Ich will es mir anverwandeln. Ich will hören, was es mir zu sagen hat. Und indem ich darauf antworte, verändere ich mich auch. Damit bleiben wir lebendig im Sinne einer permanenten Veränderung. Und nicht im Sinne eines dauernden Wachsens, das dann nur eine quantitative Vermehrung ist.

Haben Sie damit jetzt Resonanz, den Schlüsselbegriff Ihres neuesten Buches, beschrieben?

Ja. Ich habe für dieses Weltverhältnis, das ich als ein gelingendes definieren möchte, den Begriff der Resonanz gefunden. Wir sind auf eine Weise mit der Welt verbunden, die man als Resonanz-Beziehung beschreiben kann. Welt heißt: mit anderen Menschen, mit Dingen, aber auch mit der Ganzheit der Welt – das kann man christlich Schöpfung, Natur, Ökosphäre, Gaia oder für Marxisten vielleicht die Geschichte nennen.

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt. 2016 erschien sein Buch „Resonanz“. Es gilt als „Soziologie des guten Lebens“ und wurde beim Philosophicum Lech 2016 mit dem Essay-Preis „Tractatus“ ausgezeichnet. Rosa war einer der Hauptreferenten beim Kongress „Gutes Leben für alle“ in Wien.

Hartmut Rosa. Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp, Berlin 2016, 816 Seiten, € 36,-

Ihre Resonanztheorie hilft auf jeden Fall, die Welt zu verstehen. Hilft sie auch, sie zu verändern? Welche politischen Veränderungen braucht es?

In der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung haben wir genau diese Fähigkeit des Hörens und Antwortens verloren. Politik hat sich einem reinen Kampfmodus angenähert. Das zweite Problem ist, dass wir politisches Handeln fast immer in dem Modus des Verfügbarmachens denken. Was machen wir uns als Nächstes verfügbar, zum Beispiel mit Regulierungen und Gesetzen. Wir müssen es auch politisch schaffen, wieder Resonanzsensibilität zu wecken. Der Umgang mit der Natur ist ein gutes Beispiel dafür: Natur nicht als Ressource zu betrachten und zu fragen, wer darf wann wie viel benutzen, sondern als eine Art lebendige Sphäre, die uns gegenübersteht und auch etwas zu sagen hat.

Denken Sie auch an konkrete Maßnahmen?

Ein Hauptproblem sind die wachsenden Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft und zum Teil auch zwischen den Gesellschaften. Es würde Sinn machen, die Finanzmärkte zu verstaatlichen. Wir könnten über Kreditvergaben weltweit wesentlich bessere und gerechtere Verhältnisse schaffen. Eine globale Erbschaftssteuer und ein bedingungsloses Grundeinkommen, angepasst an die jeweiligen Lebensverhältnisse, scheinen mir eine Möglichkeit zu sein, politisch resonantere Verhältnisse zu erzielen.

Und was kann der oder die Einzelne tun?

Wir müssen nach Praxisformen suchen, die dieses Auseinanderfallen von dinglichem Behandeln und reiner Resonanz überwinden. Ich habe versucht, das beim Haustier zu zeigen. Das Haustier ist das reine Resonanztier, das Nutztier das reine Verdinglichungstier. Auch die Liebe soll rein resonant sein, aber die Pflegeheime sind reine Verdinglichung. Die Alpenkulisse ist reine Naturästhetik und die extraktiven Industrien sind reine Verdinglichung. Man kann sich fragen in seinem Alltag, in den Organisationen und Institutionen, wo man mitarbeitet: Wie ist das Verhältnis von Verdinglichung und Resonanz zueinander?

Was treibt den gesellschaftlichen Wandel an?

Die Frage ist, auf welcher Ebene man diesen Wandel ansetzt. Wie sind wir vom Mittelalter in die Neuzeit kommen? Das war ein fundamentaler Wandel der Weltbeziehung. Und jetzt brauchen wir einen ähnlichen Wandel. Da müssen viele Dinge zusammenlaufen. Die Umstellung auf ein kapitalistisches Wirtschaftsprinzip, wie Karl Marx es beschreibt, war ein wichtiger Veränderungsfaktor. Also die Produktionsweise. Technik spielt auch eine Rolle dabei. Aber das erklärt nicht alles. Es spielen auch kulturelle Momente eine Rolle. Selbstinterpretationen, Selbstdeutungen sind auch wichtig, für das, was aus der Welt wird und wie die Welt wird. Und es kommt nicht nur darauf an, was wir denken sondern auch darauf, was wir fühlen. Sogar auf unsere leibliche Welthaltung. Wir stehen ganz anders am Ozean als am Wühltisch im Kaufhaus.

Der Wandel hängt ganz stark mit dieser Grundhaltung zur Welt zusammen. Und ob die sich ändert und wie die sich ändert, da spielt Technik eine Rolle, da spielt Ökonomie eine Rolle. Aber unser Selbstverständnis, unser Bewusstsein, spielt auch eine Rolle und das ist die Ebene, auf der ich ansetzen will.

Inwieweit ist Ihr Denken antikapitalistisch und globalisierungskritisch?

Kapitalismus ist für mich ein Wirtschaftssystem, das vom Steigerungszwang beherrscht wird. Und genau diesem Steigerungszwang will ich entkommen.

Deshalb würde ich sagen: ja, antikapitalistisch. Globalisierungskritisch? Das will ich eigentlich gar nicht sein. Ich glaube, dass es keinen Weg zurück gibt hinter globale Vernetzung. Wenn man Globalisierung per se als Teil des neoliberalen kapitalistischen Steigerungsspiels versteht, dann ist mein Denken globalisierungskritisch. Ich würde den Globalitäts- oder Globalisierungsbegriff ungern dieser Seite überlassen. Den Sinn für ein globales Resonanzsystem zu erzeugen und zu erhalten, daran würde mir sehr viel liegen. Daher bin ich globalisierungsfreundlich. Aber diese Globalisierung ist eine andere als die, die wir im Moment sehen. Es sind politische und institutionelle Reformen nötig und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir die nicht nationalstaatlich hinkriegen. Deshalb glaube ich, dass wir globale Steuerungsinstrumente brauchen. Das erscheint mir ein viel aussichtsreicherer Pfad als nationalstaatliche oder kleinräumige Sonderlösungen.

Mit Ihrer Resonanztheorie treffen Sie einen Nerv der Zeit. Am Ende ihres Buches schreiben Sie, sie sei auf keinen Fall eine Heilslehre.

Manche sagen, das ist eine Art Heilslehre. Es ist eine Illusion zu denken, die Welt sollte komplett resonant sein. Es ist unmöglich, eine Art von Dauerresonanz zu schaffen. Der Versuch endet immer in Totalitarismen. Resonanz besteht schon dem Begriff nach immer auch auf Widerspruch, Streit und Konflikt. Von fundamentaler Bedeutung ist auch meine Idee der Unverfügbarkeit. Das bedeutet, dass man Resonanz nicht erzwingen kann. Resonanz bedeutet eine Haltung, die Offenheit und Unvorhersagbarkeit zulässt. Jede Resonanz-Beziehung bedeutet, dass wir uns in einer Weise transformieren, die wir nicht vorherbestimmen können. Jetzt muss ich einmal zurückfragen: Wenn ich sage: Ich habe eine Idee des guten Lebens. Das kann man immer Heilslehre nennen, oder?

Ja, weil sie Glück verheißt, mich positiv stimmt und mich zum Handeln bringt.

Das ist im Moment einer der großen Diskussionspunkte mit meinen Kollegen. Manche haben geschrieben, damit bringe man die kritische Theorie um ihr Bestes: die Unversöhnlichkeit gegenüber den bestehenden Verhältnissen.

Ich bin wirklich der felsenfesten Überzeugung, wenn ich eine Revolutionierung will, muss ich an den positiven Enden ansetzen. Ich muss die Hoffnung, die Energie freisetzen, die Libido, dass wir uns für etwas einsetzen wollen.

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